Das Elise Richter Projekt: Ausländer in Ägypten.

Die Archäologie und Kulturkontakt in einer altägyptischen Siedlung

Das vorliegende Projekt möchte einige seit Längerem diskutierte theoretische Ansätze in der Archäologie mit Hilfe eines archäologischen Befundes aus Ägypten beleuchten. Den archäologischen Nachweis von Migration im Unterschied zu oder zusätzlich zu Handelsbeziehungen oder Diffusion zu erbringen, bleibt häufig problematisch. Während am Anfang des vorigen Jahrhunderts Änderungen der materiellen Kultur häufig Migrationen zugeschrieben wurden, kam diese Betrachtungsweise später aus der Mode. Erst in jüngerer Vergangenheit wurden erneut Versuche unternommen ein komplexes Phänomen in einen theoretischen Rahmen zu stellen und Kriterien für den archäologischen Nachweis von Migrationen zu isolieren. Speziell die Betrachtung der ‚internen Sphäre’, des privaten Bereichs von Migranten, von dem anzunehmen ist, daß sie ihrer ursprünglichen Kultur verbunden bleiben, verspricht gute Resultate. Es bleibt jedoch zu überprüfen, ob dieses Modell auf ägyptische Befunde übertragbar ist und unverändert akzeptiert werden kann besonders in Anbetracht des Vorhandenseins von Literatur und darstellender Kunst.

Ägypten, oft als isolierte Hochkultur betrachtet, die sich ohne äußere Einflüsse entwickelt hat, kann im späten Mittleren Reich und in der Zweiten Zwischenzeit (ca. 1800 – 1550 v. Chr.) zu dieser und einigen anderen Fragen Substantielles beitragen. Der archäologische Befund einer organisch gewachsenen Siedlung des späten Mittleren Reiches, die sich in Tell el-Dab'a im nord-östlichen Nildelta und damit am Schnittpunkt von ägyptischer und levantinischer Kultur befindet, umfaßt neben der Anlage der Siedlung selbst, Architektur und archäologische Funde (Keramik, Silex-Werkzeuge, Reibsteine, Reibmühlen, Steingefäße, Mörser, Tierknochen und archäobotanische Reste) sowie Gräber innerhalb der Siedlung, deren Beigaben teils der Mittleren Bronzezeit-Kultur der Levante und teils der ägyptischen Kultur angehören. Die Untersuchung dieser Siedlung, besonders im Hinblick auf die ‚interne Sphäre’, soll Aufschluß darüber bringen, ob deren Bewohner tatsächlich Immigranten aus der Levante sind und wie ihre Akkulturation verlaufen ist, oder ob andere Erklärungsmodelle für diese Erscheinung vorzuziehen sind. In dieser Analyse ist vor allem die räumliche Verteilung der Artefakte und deren quantitative Konzentration von Bedeutung, da auf diese Art ungewöhnliche Konstellationen deutlich gemacht und auf ihre Relevanz überprüft werden können. Mit Hilfe dieser Datensammlung kann jedoch auch auf andere Fragestellungen eingegangen werden, z.B. auf ethnische Zugehörigkeit der Bewohner, horizontale Stratifizierung der Gesellschaft, Handelsbeziehungen und -volumen, Frauenforschung, funktionale Areale in der Siedlung und ökologische Umstände dieser Zeit. Der Vergleich mit anderen Siedlungen in Ägypten und der Levante wird ebenfalls Parallelen und Affinitäten ans Tageslicht bringen, obwohl Siedlungsarchäologie in beiden Bereichen ein relatives Schattendasein führt.

Naturwissenschaftliche Methoden, die neue Daten für diese Diskussion liefern könnten, wie die vergleichende Messung von stabilen Strontiumisotopen in Bodenproben und menschlichen Zähnen, um etwaige Mobilität feststellen zu können, stehen aufgrund des Ausfuhrverbots von Proben aus Ägypten bis dato nicht zur Verfügung, aber auf eine Lösung dieses Problems in der Zukunft wird gehofft.

 

Projektleiterin

Mag. Dr. Bettina Bader